Eine Erfahrung fürs Leben - Häusliche Gewalt und die Auswirkungen auf Kinder

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Eine Erfahrung fürs Leben

Häusliche Gewalt und die Auswirkungen auf Kinder

Einleitung

„Die Schläge, die meine Mama bekam, spürte ich in meinem Bauch von einem hin und her Zerren...das machte mich traurig, und [ich] bekam Angst. Mein Bauch hatte Angst, manchmal hatte er um meine Mama Angst. Manchmal sogar hatte ich um meinen Vater Angst, dass er nicht weiß, was er tut.“ (Amela 12 Jahre) (Strasser 2013: 49)

Geborgenheit, Schutz und Zuwendung sind wohl die wesentlichsten Attribute einer Familie, die dazu beitragen, dass sich Kinder und Jugendliche zu eigenverantwortlichen und starken Persönlichkeiten entwickeln dürfen und können. Was ist, wenn das eigene Zuhause zu einem der unsichersten Orte für ein Kind wird oder schon immer gewesen ist? Welche Verhaltensstrategien wird ein Kind entwickeln, wenn es regelmäßig Gewalt zwischen den Eltern erlebt? Gewalt, die keine blauen Flecken oder rote Striemen auf den Körpern von Kindern hinterlässt und dennoch verletzt.

Häusliche Gewalt – Begriffsbestimmung

Häusliche Gewalt beschreibt die Gewalt zwischen zwei erwachsenen Menschen, die in einer partnerschaftlichen Beziehung leben oder gelebt haben. Sie umfasst dabei insbesondere physische, psychische und sexuelle Formen von Gewalt. Sie ist zudem durch die Wiederholung von den Gewalteskalationen in immer kürzer werdenden Abständen charakterisierbar. Dabei grenzt sich der Begriff der Häuslichen Gewalt von der Familiären Gewalt ab, die das körperliche, psychische oder sexuelle Misshandeln von Kindern durch die Eltern, familiäre Bezugspersonen, Verwandte oder durch Gewalt von Kindern und Jugendlichen gegenüber den eigenen Eltern beschreibt. Die bekanntesten Formen von Gewalt in Paarbeziehungen entstehen entweder in bzw. aus einer komplementären oder einer symmetrischen Beziehungsdynamik. Vereinfacht könnte gesagt werden, dass sich in einer komplementären Beziehungsdynamik eine Person durch Gewalt Kontrolle und Macht gegenüber der anderen Person verschafft und dadurch die Beziehung dominiert, wohingegen die andere Person zunehmend kleiner wird. In symmetrischen Beziehungsdynamiken lässt sich schwerer erkennen und von außen beurteilen, wer Täter*in und Opfer ist, da bestimmte Streitpunkte des Paares zur Eskalation und somit auch zur Gewalt führen können (vgl. Peichl 2008: 22 ff.). Die Formen der Gewalt reichen von verbalen Attacken, Einschüchterungen und Bedrohungen, über sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, sozialer Isolation und ökonomischer Gewalt bis hin zu körperlicher und schwerer körperlicher Misshandlung und Tötung. 2018 erfasste das Landeskriminalamt Sachsen 8635 Fälle[1] von Häuslicher Gewalt im Freistaat (vgl. LKA Sachsen 2019). Wie viele Kinder Zeugen der Gewalthandlungen und nicht direkt von dieser betroffen waren, wurde nicht erhoben. Klar ist, dass jedwede erlebte Paargewalt Spuren bei den Kindern hinterlässt und Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben wird.

Mögliche Auswirkungen auf Kinder  

Konflikte zwischen Eltern oder Lebenspartner*innen können dazu beitragen, dass die beobachtenden Kinder lernen Auseinandersetzungen zu lösen und ihren Bedürfnissen Raum zu geben, auch wenn sie konträr zu den Meinungen und Bedürfnissen anderer stehen und, dass es ungefährlich ist, diese zu äußern. Gewalt zwischen den Eltern zerstört diese Möglichkeit des Lernens und wird durch das Erleben von Angst und der Suche nach Schutz ersetzt. Nicht selten äußern betroffene Kinder oder Erwachsene in der Retrospektive ein Gefühl großer Ohnmacht, wenn sie die Gewalt der Eltern unmittelbar miterlebt haben. Sie erinnern sie sich auch an ihre Versuche, sich zwischen die Eltern zu stellen, einen Elternteil durch Schreien, Weinen oder Attackieren von erneuter Gewalt abzuhalten oder sich versteckt zu haben. Bei wiederkehrender Gewalt wird das Kind zunehmend nach Ursachen für das beobachtete Verhalten Ausschau halten, nach Fehlern bei sich selbst suchen und Lösungsstrategien entwickeln, die ihn*sie vermeintlich frühzeitig erkennen lassen, wann es wieder knallt. Die Liste möglicher Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder beim Erleben von Häuslicher Gewalt ist lang. Auswirkungen können u.a. sein: Angstzustände, Stimmungsschwankungen, Aggressivität gegen sich selbst oder andere, Schulschwierigkeiten, Schlafstörungen, Einnässen und Einkoten, Alkohol- und Drogenmissbrauch, bedeutsame Beeinträchtigungen in wichtigen Entwicklungsbereichen und Entwicklungsverzögerungen (vgl. Kindler 2013: 27ff.). Das oberste Gebot muss daher in der Unterbrechung der Gewalt liegen, einhergehend mit der Sicherstellung, dass das Kind keine erneuten Gewalterfahrungen innerhalb der Familie erleben muss. Nur so kann das Gefühl von Sicherheit entstehen oder wiederentdeckt und erst daraufhin die Möglichkeit geschaffen werden, das Erlebte außerhalb des „Schutzbunkers“ zu betrachten, zu reflektieren und zu verarbeiten. Ziel muss es also sein, den Kindern und Jugendlichen angemessene Angebote und Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie ihre Ängste, Sorgen und Ambivalenzen mitteilen können.

Interventionsmöglichkeiten für Jugendhilfe und Soziale Arbeit

Das Phänomen der Häuslichen Gewalt und mögliche Auswirkungen auf die im Haushalt lebenden Kinder und Jugendlichen wurde in den vorangegangenen Abschnitten näher beleuchtet. Abschließend stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten sozialpädagogische/-arbeiterische Fachkräfte im Allgemeinen und die Kinder- und Jugendarbeit im Speziellen haben, die betroffenen Kinder zu unterstützen.

Im Freistaat Sachsen wurden mit dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes in 2002 flächendeckend sogenannte Interventions- und Koordinierungsstellen zur Bekämpfung Häuslicher Gewalt (IKS) installiert. Der Fokus liegt hier auf der Beratung und Begleitung der Opfer von Häuslicher Gewalt. Darüber hinaus wurden kürzlich in allen IKS des Land Sachsen Gelder für eine Kinder- und Jugendberatung bewilligt, die es ermöglicht, dass Kinder und Jugendliche eine unmittelbare Unterstützung durch spezialisierte Fachkräfte, in Form von Beratung und Begleitung, erfahren können. Darüber hinaus existieren Frauen- und Männerschutzeinrichtungen, die Wohn- und Schlafplätze für die Opfer von Häuslicher Gewalt sowie deren Kinder bereitstellen, sollten die Täter*innen eine weitere unmittelbare Gefahr für die Familienangehörigen darstellen. Zudem gibt es in Sachsen drei vom Land finanzierte Beratungs- und Trainingsangebote für Täterinnen und Täter in Fällen Häuslicher Gewalt, die gemeinsam mit den Täter*innen daran arbeiten, erneute von ihnen ausgehende Gewalthandlungen zu verhindern.

Da Häusliche Gewalt von den Familienangehörigen häufig als Geheimnis gehütet wird, besteht die größte Herausforderung für Fachkräfte darin, das Tabu aufzuheben und damit die Chance zu generieren, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen. Dafür bedarf es einer interdisziplinären Helferstruktur und institutioneller Kooperation zwischen den Gerichten, der Polizei, der Jugendhilfe und den oben genannten fachspezifischen Einrichtungen. Das Zusammenwirken ermöglicht es, den betroffenen Kindern Unterstützung zukommen zu lassen. Damit gilt auch für die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit hellhörig zu sein, Beziehungsangebote für die Kinder zu schaffen und im Sinne des Kinderschutzes zu handeln. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass bei Häuslicher Gewalt eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt.

Ein Ausblick

2018 ratifizierte die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland das 2011 durch den Europarat ausgearbeitete Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – auch bekannt unter dem Namen: Istanbul-Konvention. Damit verpflichtet sich die BRD gesetzlich, Maßnahmen zur Bekämpfung von Häuslicher Gewalt aufrechtzuerhalten und auszubauen. Durch diese Ratifikation und das wachsende Interesse an der Bekämpfung Häuslicher Gewalt ergeben sich sowohl neue Chancen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen als auch weitere Handlungsmöglichkeiten und Verpflichtungen für Jugendhilfe, Familiengerichtsbarkeit und Gesellschaft.

Quellen:

Kindler, Heinz (2013): Partnergewalt und Beeinträchtigung kindlicher Entwicklung: Ein aktualisierter Forschungsüberblick. In: Kavemann, Barbara; Kreyssig, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Kinder und Häusliche Gewalt. 3.Auflage. Wiesbaden: Springer VS

Landeskriminalamt Sachsen (2019): Straftaten der „Häuslichen Gewalt“. Lagebild 2018.

Peichl, Jochen (2008): Destruktive Paarbeziehungen. Das Trauma intimer Gewalt. Stuttgart: Klett-Cotta

Strasser, Philomena (2013): „In meinem Bauch zittert alles.“ Traumatisierung von Kindern durch Gewalt gegen die Mutter. In: Kavemann, Barbara; Kreyssig, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Kinder und Häusliche Gewalt. 3.Auflage. Wiesbaden: Springer VS

Empfehlungen Literatur:

Der Wutmann 20 Minuten, Animationsfilm, Norwegen 2009, Regie und Produktion: Anita Killi, Trollfilm AS

Kavemann, Barbara; Kreyssig, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Kinder und Häusliche Gewalt. 3.Auflage. Wiesbaden: Springer VS

Peichl, Jochen (2008): Destruktive Paarbeziehungen. Das Trauma intimer Gewalt. Stuttgart: Klett-Cotta

 

Angaben zum Autor:

D.Schäfer

Mitarbeiter bei ESCAPE Dresden

„Beratungs- und Trainingsangebot für Täterinnen und Täter in Fällen häuslicher Gewalt“

Ein Projekt des Männernetzwerk Dresden e.V.

 

Königsbrücker Str. 37

01099 Dresden

 

[1] Das Landeskriminalamt Sachsen bezieht unter dem Begriff Häusliche Gewalt auch die Gewalt gegenüber Kindern mit ein. Die Zahl erwachsener Opfer beläuft sich auf 6037 Personen.

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