Kampagne #jaMann - gestartet

Die Bevölkerung ist in unzureichendem Maße für die vielfältigen Lebenslagen von Männern unserer Gesellschaft sensibilisiert - Männer werden nach wie vor eher an stereotypen Rollenerwartungen gemessen und entsprechend dargestellt: Sie sollen im Beruf erfolgreich „ihren Mann stehen“, stark und unverletzbar sein, attraktiv und gesund erscheinen. Sie stehen selbstverständlich für Technikaffinität sowie Expertise in allen Fragen, die in unserer Gesellschaft mit Macht und Einfluss verbunden sind:  Management und Finanzen (87 % Männer in DAX – Vorständen), Wissenschaften (70 % Männer in Professuren), Politik (69% Männer im Bundestag), Religion (weibliche Kardinäle??) etc. Nach einer Malisa Studie waren 4 von 5 Expert*innen, die in den Medien zur Corona – Pandemie Stellung nahmen, männlich[1]. Selbstverständlich und weitgehend unhinterfragt sind Leitungsaufgaben überwiegend fest in Männerhand. Allerdings bilden die Männer in den oben genannten Bereichen keineswegs die Vielfalt von Männern in unserer Gesellschaft ab. Die Zugänge zu den genannten Bereichen sind an bestimmte Privilegierungen gebunden – sei es (soziale) Herkunft, Bildung, aber auch Faktoren wie Ethnie, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und Dresscodes. Zugespitzt kann man sagen, dass die Männer in den oben genannten Bereichen überwiegend weiß, deutsch und heterosexuell sind. Da diese Bereiche aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung hohes Prestige und hohe Sichtbarkeit genießen, werden die darin agierenden Männer schnell zur Referenz für „Männlichkeit“ bzw. „Mannsein“ allgemein.        

Männer in (unterbezahlten) Care – Tätigkeiten („Frauenberufen“) sind dagegen weitgehend Abwertungen unterworfen: KITA – Erzieher stehen im Generalverdacht der Pädophilie, Pfleger sind wohl an ihrem Medizinstudium gescheitert, Frisöre sind nur im VIP Bereich ausnahmsweise männlich, Köche nur in der haute cuisine bzw. als Küchenchefs tätig.

Stereotype Männlichkeitsbilder sind in allen Medien(-formaten) dagegen deutlich überrepräsentiert. Man schaue sich dazu Werbung (Wer fährt das Auto?), Männerzeitschriften (Fleischberge & Waschbrettbauch), Actionfilme (Gewalt geht überwiegend von Männern aus), Talkshows (größere Redeanteile), Instagram (übergewichtige Männer ? - Fehlanzeige), Kinderbücher (Bauarbeiter = Mann), Schulbücher (keine homosexuellen Partnerschaften sichtbar) an. Zur Männerdominanz über alle Medienformate hinweg – vor und hinter dem Mikrofon bzw. der Kamera – siehe sämtliche MaLisa Studien[2], die sich mit Geschlechterdarstellungen in den verschiedenen Medien beschäftigt haben.

Wo finden sich auf öffentlichen Darstellungen hingegen Männer, die einen Kinderwagen schieben, in KITAS arbeiten, die im Rollstuhl sitzen, die eine andere Hautfarbe haben, die eine nicht heterosexuelle Orientierung haben, Transpersonen, Männer die sich verletzt und verletzbar zeigen, Männer die alt und gebrechlich sind? Connell bezeichnet diese als marginalisierte Männlichkeiten.[3] Sicher gibt es solche Darstellungen auch – sie finden sich jedoch überwiegend in sozialstaatlichen Publikationen und nicht in der Breite der Medienerzeugnisse – schon gar nicht im kommerziellen Bereich.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass sich die Sichtbarkeit von Männern in der Gesellschaft vor allem auf traditionell gelebte (bzw. idealisierte) Männlichkeiten beschränkt. Wer nicht sichtbar ist, der muss in der Gesellschaft mit Abwertung und Marginalisierung rechnen. Das zeigt sich beispielhaft am Diskurs über weibliche Personenbezeichnungen in Büchern und Texten – die ja angeblich in der männlichen Schreibweise immer mitgemeint waren. Tatsächlich wurden Frauen so über Jahrzehnte „unsichtbar“ bzw. „unbedeutend“ gemacht.

Ähnlich ergeht es Männern, die nicht dem traditionellen Bild entsprechen – auch sie werden durch die Dominanz tradierter Männlichkeitsbilder „unsichtbar“ gemacht und erleben dadurch gesellschaftliche Benachteiligungen. Zudem können Sie mangels Sichtbarkeit auch nicht als Vorbilder für andere Männer wirken. Ein Beispiel: „Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder (auch zwei Drittel der Kinder wünschen sich mehr Zeit mit ihren Vätern). Jeder zweite Vater würde gerne die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen, nur jeder sechste tut es tatsächlich.“[4]

Warum ist das so? Viele Männer erlauben sich das eben nicht, weil es ihrem eigenen Männlichkeitsideal als Familienernährer widerspricht oder weil sie Abwertungen durch Freunde, Kollegen und Vorgesetzte befürchten müssen. Ein anderes Beispiel: Männer üben mehr und drastischer Gewalt aus als Frauen, daher ist Männlichkeit stark mit einer Zuschreibung als „Täter“ verbunden. Dass Gewalttaten im öffentlichen Bereich zu zwei Dritteln an Männern begangen werden, führt keineswegs zu einer assoziativen Verknüpfung von Männlichkeit mit einer „Opferrolle“ oder zu einer entsprechenden Sichtbarkeit männlicher Opfer.

All das vermittelt ein sehr eingeschränktes Bild davon, was Mannsein tatsächlich bedeutet, all das hat Auswirkungen darauf, was Männer von sich selbst für ein Bild haben, was sie sich – auch über gesundheitliche Grenzen hinweg - zutrauen (müssen), welche Berufe sie ergreifen, welche sie meiden, ob und in welchem Umfang sie Elternzeit in Anspruch nehmen, wie riskant sie Auto fahren, was sie essen – um nur einige Beispiele zu nennen. All das schränkt Männer in ihren Möglichkeiten ein – bzw. schränken sie sich oft selbst darin ein, um das Selbstbild eines „richtigen“ Mannes aufrecht zu erhalten.

Damit vertun Männer Chancen für ihr berufliches Leben; Partnerschaften scheitern, weil Männer unreflektiert ihren Leistungsansprüchen als Familienernährern folgen und dabei allzu häufig die Pflege ihrer Beziehung zu Partner*innen und Kindern vernachlässigen. Männer ernähren sich ungesund, weil Werbung ihnen das nahelegt. Um trotzdem (gemäß der „Mens Health“) attraktiv zu sein, überstrapazieren Männer ihren Körper im Fitnessstudio und mit Steroiden. Eine Auseinandersetzung mit den natürlichen Veränderungen des Körpers, der Sexualität im Alter, findet dagegen kaum statt. Die Akzeptanz von Seniorität und den damit verbundenen Ressourcen gerät aus dem Blick. Eine Perspektive für die Zeit nach dem Erwerbsleben suchen die meisten Männer zu spät – mit der Folge erhöhter Suizide beim Eintritt in die Rente. Homosexuelle Beziehungen werden bei weitem nicht so offen ausgelebt wie „normale“ Partnerschaften. Kein Wunder, denn diese sind immer noch durch Übergriffe und Gewalt bedroht – ebenso wie Vertreter anderer marginalisierter Männlichkeiten wie Wohnungslose, Geflüchtete und Behinderte.

Fazit: Nicht alle Männer erleben Benachteiligungen und bedürfen Maßnahmen zur Erhöhung ihrer Chancen. Da die Sichtbarkeit von entsprechend privilegierten Männern aber viel höher ist, erschließt sich für viele Außenstehende nicht, warum Männer überhaupt Adressaten von Gleichstellungsarbeit sein sollen. Damit bleibt verkannt, dass es auch viele Männer gibt, die weitgehend „unsichtbar“ bleiben: Männer aus bildungsfernen Milieus, mit geringen sozio­ökonomischen Ressourcen und / oder mit besonderen Verletzlichkeiten. Diese sind in ihren Möglichkeiten in vielen Bereichen unserer Gesellschaft beschränkt und bedürfen entsprechender Angebote und Rahmenbedingungen zur Erhöhung ihrer Chancen für eine gleichberechtigte Teilhabe in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.   

Ziel der Kampagne ist es vor allem, die Sichtbarkeit von Männlichkeit in all ihren Facetten zu fördern. Wenn diese Vielfalt (vor allem marginalisierter  Männlichkeitsbilder) deutlich wird – so unsere feste Überzeugung - so erlauben sich Männer auch eher ein von traditionellen Rollen und Stereotypen abweichendes Verhalten.

 

 

[1] https://malisastiftung.org/studie-geschlechterverteilung-corona-berichterstattung/

[2] https://malisastiftung.org/studien/

[3] Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen: Leske + Budrich 1999

[4] https://www.bmfsfj.de/blob/160756/d5f64e6929539967c28f9c3827fa7be8/gleichstellungspolitik-fuer-jungen-und-maenner-in-deutschland-kurzfassung-data.pdf

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