Rückblick auf den Fachtag "Den Motor am laufen halten"

„Den Motor am Laufen halten“ – unter diesem vielsagenden Titel veranstaltete die Landesfachstelle Jungenarbeit Sachsen am 23.4.2018 einen Fachtag, der sich um die Gesundheit von Jungen* und Männern* drehte. Die Metapher des Motors spielt dabei mit der bei Jungen* und Männern* überaus verbreiteten Vorstellung, der (männliche) Körper sei eine Maschine, die dem Gesundheitswesen üblicherweise erst dann zuzuführen ist, wenn Sie „kaputt“ oder in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Drei Mitarbeiter des Männernetzwerkes Dresden e.V. nahmen die Gelegenheit wahr, sich diesem gesellschaftlich eher unterbelichteten Thema zu stellen und sich mit dessen Bedeutung für die eigene Berufspraxis auseinanderzusetzen.

Dass Männer statistisch gesehen im Schnitt ca. 6 Jahre vor den Frauen sterben, hat Gründe. Gründe, die überwiegend nicht auf biologische oder genetische Faktoren zurückzuführen sind, sondern eher darauf, wie Männer auf das Leben zugehen: Mit mehr Tempo im Straßenverkehr, riskanterem Rauschmittelgebrauch, ungesünderen Lebensmitteln und weniger  Sensibilität für die Bedürfnisse des eigenen Körpers.  So wahr das ist, so  deutlich zeigt sich aber auch, dass diese Art der Erklärung wiederum einen defizitorientierten Blick auf Jungen* und Männer* richtet – nach dem Motto „Schaut mal, was Männer alles nicht können“. Es bleibt die Frage, ob sich so tatsächlich mehr Männer für eine größere Selbstsorge motivieren lassen.

Im  ersten Vortrag des Fachtags plädierte Dr. Bernhard Stier, praktizierender Kinder- und Jugendmediziner, für eine spezifische Jungenmedizin. Anhand von 10 „Hürden des Junge – Seins“ skizzierte er entsprechenden Bedarf: So erleiden Jungen deutlich öfter als Mädchen Unfälle im Straßenverkehr, haben generell ein höheres Sterberisiko und üben verletzungsreichere Sportarten aus. Ausgehend von seinen medizinischen Kenntnissen nahm er auch Bezug zu Testosteron, welches landläufig mit besonders ausgeprägter Männlichkeit assoziiert wird. Laut Dr. Stier spielt es aber vor allem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines gelingenden Sozialverhaltens von Jungen. Damit wurde auch nochmal ein Verweis darauf gegeben, dass zum Thema Geschlecht viele Mythen existieren, die überwiegend auf biologistischen Argumenten und unterkomplexem naturwissenschaftlichem Verständnis beruhen – á la „Mann=Testosteron=aggressiv“

Im zweiten Input fokussierte  Prof. Dr. Martin Dinges auf das Thema „Männlichkeit als Gesundheitsrisiko“ und verwies darauf, dass Gesundheitsstatus und Gesundheitsverhalten von Männern* vielfältig und stark mit geschlechterspezifischen Zuschreibungen und Orientierungen verflochten ist. Die sozialen Aspekte von Geschlecht spielen also  eine viel größere Rolle, als genetische Dispositionen oder hormonelle Konstellationen. Aus einer eher sozialen Definition von Geschlecht lassen sich auch eher  Ressourcen und Veränderbarkeiten ableiten, die für eine gesundheitsförderliche Arbeit mit Männern gut nutzbar sind.

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die in den Vorträgen benannten Aspekte weiter vertieft und die Anwesenden konnten das bisher Gehörte in  Bezug zu ihrer eigenen Erfahrung bzw. Berufspraxis setzen. So wies ein Teilnehmer darauf hin, dass eine Zeitschrift wie „Men´s Health“ zwar ein sehr eindimensionales und stereotypes Bild von Männlichkeit zeichnet, dass aber immerhin auch regelmäßige Beiträge zu gesunder Ernährung, Bewegung und Selbstsorge darin zu finden seien. In Verbindung mit der hohen Verbreitung der Zeitschrift sei damit auch ein durchaus ernstzunehmender gesundheitsförderlicher Einfluss auf viele Männer möglich.

Im Verlaufe des Nachmittags hatten die Teilnehmer*innen  die Gelegenheit, sich im Rahmen von Workshops intensiver mit einem Thema auseinanderzusetzen. Ich hatte für mich „Vielfalt fördern, Gesundheit stärken“ ausgewählt, bei dem es um spezifische Herausforderungen für Trans- bzw. intergeschlechtlichen Menschen ging. Für diese (bzw. deren Eltern) beginnt bereits kurz nach der Geburt eine zwangsläufige Auseinandersetzung  mit dem Gesundheitssystem – überwiegend entlang der Frage, wie mit einer festgestellten „Abweichung“ des Neugeborenen von der gesellschaftlich geltenden zweigeschlechtlichen Norm umzugehen sei. Immer noch wird Eltern überwiegend zu einer geschlechtsangleichenden Maßnahme beim Neugeborenen geraten. Die Vielfalt körpergeschlechtlicher Ausprägungen muss sich damit dem Bedürfnis der Gesellschaft nach „Eindeutigkeit“ in der geschlechtlichen Zuordnung unterwerfen. Die psychosozialen Folgen für die Betroffenen werden dabei häufig ausgeblendet.

Mit vielen Eindrücken und reichlich „Material“ für eine weitere fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Jungen- und Männergesundheit“ ausgestattet, verließ ich insgesamt sehr zufrieden den Fachtag. Ein bisschen schade finde ich die geringe Resonanz, welche das Thema – gemessen an der Teilnehmer*innenzahl - in der Fachlandschaft offenkundig hat. Es bleibt damit noch genug Potenzial für weitere Veranstaltungen mit diesem Fokus

Torsten Weber

Fachstelle Jungen- und Männerarbeit in Dresden

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